Nichts ist für ihn tabu, solange es für öffentlichen Aufruhr sorgt. Und sämtliche Konventionen, so scheint es, werden von ihm gezielt gebrochen – wenn das seinem Unternehmen nur neue Kunden bringt:
Der Chef von T-Mobile USA schüttelt gerade mit ungebundenen Telefonverträgen und attraktiven Smartphone-Angeboten die US-Mobilfunkbranche gewaltig durcheinander. Allein im ersten Quartal dieses Jahres hat die Telekom-US-Tochter so mehr Kunden hinzugewonnen, als alle ihre Konkurrenten in dieser Zeit zusammen.
Wenn man diesen erstaunlichen Turnaround von T-Mobile USA dann auch mit zwei Worten beschreiben soll, kann man es getrost mit dem Namen seines CEOs versuchen: John Legere.
Legere ist das, was man in Deutschland einen bunten Hund nennt. In den USA gilt er als eine „loose cannon“, eine ungelenkte Rakete. „Deine Mutter verdient etwas Besseres als AT&T“, tweetete er am Sonntag frech in die Runde. Das war eine schallende Watsche für einen der beiden größten Carrier im Wireless-Geschäft der USA.
Wenige Tage zuvor hatte John Legere, der auf Twitter regelmäßig Kundenanfragen beantwortet und sich mit Fachjournalisten austauscht, den Branchenführer aufs Korn genommen: „Ich habe Mitleid mit Verizon-Kunden“, schrieb Legere, „die hängen bei einer Firma fest, die sich nicht ändern will.“
Über AT&T-Mobility-Chef Ralph de la Vega gab Legere unlängst zu Protokoll, dieser habe besser ausgesehen, als er noch dick war.
John Legere ist ein PR-begnadeter Rebell in der Mobilfunkbranche. Schon äußerlich setzt er sich mit langen Haaren, Lederjacke und hippen Turnschuhen gezielt von den anderen Managern seiner Zunft ab. Bei seiner ersten Consumer Electronics Show in Las Vegas in der jetzigen Funktion bezeichnete Legere 2013 das Netzwerk von AT&T als „Mist.“ Am Vorabend der riesigen Leistungsschau machte Legere als Party-Crasher Schlagzeilen.
Mit seinem typischen Outfit im magenta-farbenen T-Shirt mit T-Mobile-Logo und Lederjacke bahnte sich der Manager den Weg zur Party beim Konkurrenten AT&T und wurde prompt von den Bodyguards des Hotels hinaus komplimentiert. „Ich wollte nur den Rapper Macklemore sehen“, gab er spitzbübisch als Grund für seine Aktion an.
Legere bricht Regeln, testet die Grenzen seiner Industrie und sorgt für Aufsehen, wo immer er kann. Bei Pressekonferenzen verhöhnt er die Konkurrenz. In Interviews attackiert er den Status Quo. Er charakterisiert seine Industrie als „dumm, überkommen und arrogant.“
In einem Kommentar zur „Un-carrier“-Initiative von T-Mobile, mit der Kunden von den üblichen Vertragsknebeln der Branche befreit werden sollen, beschrieb er kürzlich die anderen Mobilfunkbetreiber als „gnadenlose, gierige Versorger“, denen nichts wirklich Kreatives einfalle.
Als T-Mobile-Chef beweist er nun gute strategische Instinkte und ein Gespür für die Schwächen der Konkurrenz. Dem Mobilfunk sagt er eine Konsolidierung vorher. Kein Wunder eigentlich, so ist doch seine Firme T-Mobile USA eine der Telefongesellschaften, die in Amerika immer wieder mit Fusionen und Aufkäufen in Verbindung gebracht wird – obwohl die US-Wettbewerbshüter bisher nicht viel Sympathie für diesen spekulierten Fall haben durchschimmern lassen.
Dennoch wird weiter über eine möglichen Aufkauf von T-Mobile USA durch seinen amerikanischen Konkurrenten Sprint spekuliert, und so treibt Legere mit unkonventioneller PR und Öffentlichkeitsarbeit gezielt den Preis von T-Mobile weiter nach oben – zur Freude der Konzernmutter Deutschen Telekom.
Der Mann überlässt dabei nichts dem Zufall.
Zwar wirken seine Auftritte spontan und nicht einstudiert wie bei vielen Topmanagern der Tech-Industrie. Doch er soll seine Reden gründlich vorbereiten. Sein Umfeld studiert er akribisch. Legere hat vor seinem Einsatz als CEO anonym in einem Call Center des Unternehmens gearbeitet, um die Eingeweide von T-Mobile kennenzulernen. Und auf Twitter scheint er fast allgegenwärtig.
Als Jake Tapper, der Chef-Korrespondent von CNN in Washington, Legere darauf aufmerksam machte, dass T-Mobile der Frau eines vor drei Jahren getöteten Soldaten noch immer Rechnungen schickt, antwortete Legere sofort. Er löste den Fall innerhalb von zwei Stunden.
An Tapper tweetete er zurück: „Sie müssen mir nicht danken, es ist eine Schande, dass das passiert ist, es tut mir furchtbar leid, danke, dass Sie das angesprochen haben.“
Legere ist aber weitaus mehr als nur ein allgegenwärtiger Social-Media-Fan, Spaßvogel und Provokateur. Er zeigt sich genauso von seiner ernsten und sozialen Seite. Bis Ende 2012 hat er bei insgesamt acht Boston Marathons mehr als 1,2 Millionen Dollar für die Krebsforschung aufgetrieben.
Legere erwarb ein Master-of-Science-Diplom vom renommierten Massachusetts Institute of Technology. Bei AT&T führte er die Geschäfte in der Region Asien/Pazifik, dirigierte das Outsourcing-Programm des Unternehmens und war für die globale Strategie des Carriers zuständig.
Auch bei seiner nächsten Station, dem Computerriesen Dell, war er für das Verkaufsgebiet Asien/Pazifik in der Verantwortung, bevor er die Geschäfte in Europa, dem Nahen Osten und Afrika leitete. Zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts übernahm er das Ruder beim Datennetzbetreiber Global Crossing.
Während seiner Zeit bei AT&T arbeitete Legere übrigens vorübergehend unter dem heutigen Sprint-CEO Daniel Hesse. Und diesen soll er Insider-Gerüchten zufolge im Falle einer Fusion von Sprint und T-Mobile beerben.
„Legere hat starke Leistungen gezeigt“, sagt Hesse über seinen ehemaligen Untergebenen. Der ständige Tabubruch könnte sich also auch für Legere persönlich auszahlen, und nicht nur für sein Unternehmen T-Mobile USA.